Das Beispiel Miltefosin

Steckbrief: Miltefosin
Krankheit: viszerale Leishmaniose (Kala Azar)
Bedeutung: Infektionskrankheit, ohne Behandlung in den meisten Fällen tödlich. Von den ca. 500.000 Neuinfektionen
jährlich fallen 90% auf Bangladesch, Brasilien, Äthiopien, Indien, Nepal und Sudan
Erfindung: Miltefosin als Wirkstoff gegen Leishmaniose und als Krebsmedikament
Erfinder: Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie Göttingen, Burroughs Wellcome
Entwicklung: MPI, Uniklinik Göttingen, Asta Medica, WHO/TDR, London School of Hygiene and Tropical Medicine,
Rajendra Memorial Research Institute of Medical Sciences (Indien) u.a.
Finanzierung: Entwicklung als Leishmaniose- Medikament überwiegend öffentlich finanziert. Bei der onkologischen Entwicklung höherer Industrieanteil
Verwertungsmodell: nicht-exklusive Lizenz, differential pricing

Kategorie: Mehrere Lizenzen, differential pricing

Miltefosin wurde als Medikament gegen Leishmaniose entwickelt – eine typische vernachlässigte Krankheit: sie ist häufig, betrifft aber vor allem Menschen in armen Ländern und es gibt nur unzureichende Therapiemöglichkeiten. Die Geschichte von Miltefosin ist besonders spannend, weil sie ihren Anfang in den 1980er und 1990er Jahren nahm. Damals hatten sich die Pharmaunternehmen fast vollständig aus der tropenmedizinischen Forschung zurückgezogen. Und ausgerechnet in dieser Zeit fanden ein Max-Planck-Institut und ein Pharmaunternehmen zusammen, um gemeinsam ein Medikament gegen Leishmaniose zu entwickeln. Ein komplexes Projekt mit vielen Beteiligten ging ungewohnte Wege.

Vom Krebs zur Tropenkrankheit

Der Wirkstoff Miltefosin (Hexadecylphosphocholin) wurde unabhängig voneinander in einem deutschen und in einem US-amerikanischen Labor synthetisiert. Im Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie (Göttingen) forschte der Chemiker Hansjörg Eibl an Zellmembranen und stellte dabei fest, dass Miltefosin zur Behandlung von Krebs geeignet sein könnte. Die onkologische Anwendung meldete er 1986 zum Patent an und setzte die Forschung mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Universitätsklinik Göttingen fort. Das Pharmaunternehmen Asta Medica (jetzt AEterna Zentaris) sicherte sich eine Exklusivlizenz und erhielt 1992 die Zulassung für Miltex® zur Behandlung von Hautmetastasen bei Brustkrebs. Die parallele Entwicklung als Leishmaniose-Medikament begann 1984 beim Pharma-Unternehmen Burroughs Wellcome (heute GlaxoSmithKline). Dort erkannte man die Wirksamkeit gegen Leishmanien, löste dann aber die tropenmedizinische Abteilung wegen Unrentabilität auf. Der Chemiker Simon Croft wechselte darauf hin zur London School of Hygiene and Tropical Medicine und publizierte 1987 die Forschungserkenntnisse zu Leishmaniose. Nun wurden die Fäden verknüpft. In Göttingen begann man sich ebenfalls der Leishmaniose zu widmen. Erste Anfragen bei der Weltgesundheitsorganisation auf eine Zusammenarbeit stießen dort auf Desinteresse, so dass sich der Asta Medica Manager Jürgen Engel des Projekts annahm und eine weitere Lizenz für Miltefosin zur Entwicklung einer Leishmaniose-Therapie vereinbarte. Inzwischen war Simon Croft zur WHO gewechselt und betreute dort ein Forschungsprojekt zu Leishmaniose. WHO, Asta und MPI Göttingen unterzeichneten die Kooperation.

Im Rahmen des WHO-Programms für Tropenkrankheiten (TDR Special Programme for Research and Training in Tropical Diseases) wurde Miltefosin in klinischen Studien getestet. Der Pharmakonzern war für die Herstellung der Testmedikamente und die präklinischen Studien zuständig, TDR für die klinischen Studien in der indischen Region Bihar, die besonders stark von Leishmaniose betroffen ist. Um die Studien kümmerte sich ab 1996 eine Arbeitsgruppe (Task Force), in der indische Leishmaniose-Experten federführend waren. Ein wesentlicher Baustein war dabei der Aufbau einer entsprechenden Forschungsinfrastruktur in Bihar. Schließlich wurde Miltefosin 2002 in Indien zur Behandlung von Leishmaniose bei Erwachsenen zugelassen, 2004 folgte die Zulassung für Kinder. Miltefosin ist heute also in mehreren Varianten auf dem Markt: als Krebsmedikament und zur Behandlung einer Infektionskrankheit. Die Verfügbarkeit ist über eine differenzierte Preisgestaltung geregelt: In Industrieländer wird Impavido®  hochpreisig verkauft (Monatstherapie ca. 1.700 Euro), für Entwicklungsländer war mit dem Medikamentenhilfswerk action medeor ein Preis von ca. 100 Euro vereinbart.

Gegen Widerstände

Das Beispiel Miltefosin zeigt, wie ein wirksames und innovatives Medikament für eine kommerziell uninteressante Krankheit auf den Markt gebracht werden kann. Die typische Aufgabenteilung zwischen öffentlichen und industriellen Akteuren gab es hier nicht – statt einem linearen Nacheinander der verschiedenen Beteiligten kam es zu einem Austausch in verschiedenen Phasen. Dabei mussten oft Widerstände überwunden werden. Aus kommerzieller Sicht erschien das Projekt wenig rentabel und wurde angezweifelt (z.B. innerhalb AEterna Zentaris) oder gar beendet (Burroughs Wellcome). Dass es trotzdem weiterging, war immer dem persönlichen Einsatz Einzelner zu verdanken. Auch die Finanzierung verteilte sich auf viele Schultern. Die Grundlagenforschung fand in öffentlichen Laboren statt (mit Ausnahme des Burroughs-Anteils), die Methodik der präklinischen Forschung (Tierversuche) wurde ebenfalls öffentlich entwickelt. Während sich die Finanzierung der Unternehmen vor allem auf die onkologische Anwendung konzentrierte, wurden die klinischen Studien in Indien von verschiedenen öffentlichen Geldgebern getragen. Die Zulassung wiederum übernahm ein Pharmaunternehmen.

Da die Forschung zu Leishmaniose in den letzten Jahren deutlich intensiviert wurde, hat Miltefosin wieder an Bedeutung verloren und wurde weitestgehend durch andere Wirkstoffe mit besserem Nutzen/Risiko-Profil abgelöst. Die Drugs for Neglected Diseases Initiative DNDi untersucht derzeit den Einsatz von Miltefosin in Kombinationstherapien, um der Bildung von Resistenzen entgegenzuwirken. Am Projekt AfriCoLeish sind mehrere öffentliche Einrichtungen beteiligt: die Universitäten von Gondar (Äthiopien) und Karthoum (Sudan) sowie das Institute of Tropical Medicine Antwerpen und die London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Quelle: Pharma-Brief Spezial 1/2013